Warum Hypochondrie alles andere als harmlos ist
Es beginnt mit einem Gedanken. Ein Kratzen im Hals. Ein Stechen in der Brust. Ein unruhiges Gefühl irgendwo im Körper. Für die meisten Menschen sind solche Symptome kaum der Rede wert. Vielleicht ein kurzer Gedanke: „Wird schon nichts sein.“ Und weiter geht’s.
Für mich jedoch nicht. Dieser Gedanke wächst. Er wird zur Angst. Aus der Angst wird eine Überzeugung: Da ist etwas nicht in Ordnung. Irgendetwas ist ernsthaft falsch mit mir. Und bevor ich es merke, befinde ich mich in einem Strudel aus Sorgen, Symptomen und verzweifelten Versuchen, herauszufinden, ob ich krank bin – todkrank vielleicht.
Das ist keine „normale“ Sorge. Das ist Krankheitsangststörung.
Was ist Krankheitsangststörung eigentlich?
Die Krankheitsangststörung, die viele unter dem Begriff „Hypochondrie“ kennen, ist eine psychische Erkrankung. Sie wird oft falsch verstanden oder sogar ins Lächerliche gezogen. Aber in Wirklichkeit ist sie ein tiefer, quälender Zustand, in dem Betroffene überzeugt sind, an einer schweren Krankheit zu leiden – selbst wenn es dafür keine medizinischen Beweise gibt.
Es ist ein Teufelskreis: Die Sorge, krank zu sein, löst körperliche Symptome aus – wie Herzrasen, Schwitzen oder Magenprobleme. Diese Symptome verstärken dann die Überzeugung, dass etwas nicht stimmt. Rational zu erklären, dass alles in Ordnung ist, hilft oft wenig, weil die Angst stärker ist als jede Logik.
Für mich fühlt es sich an, als würde mein Verstand gegen meinen Körper kämpfen. Egal wie oft Ärzte mir bestätigen, dass ich gesund bin – dieser eine Zweifel bleibt. Was, wenn sie sich irren? Was, wenn ich etwas Seltenes habe, das niemand erkennt?
„Du bist doch gesund“ – Ein unsichtbares Gefängnis
Ich weiß, was du vielleicht denkst, wenn du das liest: „Aber wenn du wirklich nichts hast, warum machst du dir dann so viele Gedanken?“ Guter Punkt. Aber weißt du, was das Problem ist? Ich weiß das auch. Rational weiß ich, dass ich vermutlich gesund bin. Aber mein Verstand arbeitet nicht rational, wenn die Angst übernimmt.
Eine Krankheitsangststörung ist wie ein unaufhörlich tickender Wecker in deinem Kopf. Selbst wenn der Arzt dir bestätigt, dass alles in Ordnung ist, bleibt da dieser nagende Zweifel: Haben sie vielleicht etwas übersehen? Was, wenn ich die seltene Ausnahme bin?
Und dann kommt der nächste Gedanke: Wenn ich jetzt nicht sofort handle, wird es zu spät sein.
Von außen mag das lächerlich klingen. Aber für mich ist es ein Kampf ums Überleben. Ein ständiges Durchsuchen meines Körpers nach Anzeichen, ein obsessives Googeln von Symptomen, ein gedankliches Hin- und Herwälzen von Szenarien. Es nimmt mich völlig ein.
Der Trigger Weltgeschehen: Angst hat viele Gesichter
Es hört aber nicht bei meinem Körper auf. Es ist, als hätte die Angst tausend Arme, die überall hinfassen. Das Weltgeschehen ist ein riesiger Trigger.
Ich schaue die Nachrichten und sehe Gewalt, Krieg, Umweltkatastrophen. Ich höre von Ungerechtigkeit gegen Frauen, von der Angst vor einem weiteren Kriminellen an der Macht. Und ich stelle mir die Frage: Was erwartet meine Kinder in dieser Welt?
Ich habe drei Töchter. Ich sehe sie, wie sie in einer Welt großwerden, die immer unsicherer scheint. Ich frage mich, wie ich sie beschützen soll. Wie ich ihnen Hoffnung geben soll, wenn ich selbst manchmal kaum Hoffnung spüre.
Diese Gedanken lassen mich nicht los. Sie verstärken die Angst, die ohnehin schon in mir tobt. Es fühlt sich an, als würde ich die Last der ganzen Welt auf meinen Schultern tragen, während ich gleichzeitig versuche, mich selbst zusammenzuhalten.
„Reiß dich mal zusammen“ – Die zerstörerische Wirkung von Unverständnis
Vielleicht denkst du jetzt: „Das hört sich schlimm an, aber das ist doch Kopfsache. Warum konzentrierst du dich nicht auf die schönen Dinge im Leben?“ Das höre ich oft. Zu oft.
Sätze wie:
- „Denk mal an die positiven Seiten.“
- „Andere haben es schlimmer.“
- „Du übertreibst einfach.“
Diese Sätze tun weh. Sie sind wie Schläge ins Gesicht. Sie zeigen mir, dass die Person vor mir nicht versteht, was in mir vorgeht. Sie zeigen, dass sie meine Kämpfe nicht ernst nimmt.
Wenn du so etwas sagst, machst du meine Ängste nicht kleiner. Du machst sie schlimmer. Denn neben der Angst kommt dann auch noch das Gefühl, schwach, lächerlich oder sogar wertlos zu sein.
Hypochondrie ist kein Witz
„Hypochonder“ – wie oft wird dieses Wort als Beleidigung oder Witz benutzt? Als ob Menschen mit Krankheitsangststörung absichtlich übertreiben oder Spaß daran hätten, ständig in Panik zu sein.
Aber weißt du, wie es wirklich ist? Hypochondrie ist zermürbend. Es raubt dir die Freude am Leben. Es zwingt dich, jede Sekunde deines Daseins auf mögliche Anzeichen von Gefahr zu scannen. Es fesselt dich an deine Ängste und macht es schwer, loszulassen.
Es ist keine Marotte. Es ist keine Übertreibung. Es ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, die genauso viel Aufmerksamkeit und Verständnis verdient wie jede andere Krankheit.
Was ich mir wünsche
Wenn du jemanden kennst, der mit einer Angststörung kämpft, bitte, tu mir einen Gefallen: Hör zu. Sei da. Versuch nicht, Lösungen anzubieten oder die Ängste kleinzureden. Manchmal hilft es einfach, wenn jemand sagt: „Ich sehe, dass es dir schwerfällt. Ich bin für dich da.“
Und hör auf, Witze darüber zu machen. Hör auf, zu sagen, dass wir uns „zusammenreißen“ sollen. Hör auf, so zu tun, als wären psychische Krankheiten weniger ernst als physische.
Warum ich das schreibe
Ich schreibe das, weil ich weiß, dass ich nicht allein bin. Es gibt viele Menschen wie mich, die mit einer Krankheitsangststörung leben. Und es gibt viele, die sich wegen des mangelnden Verständnisses und der Stigmatisierung isoliert fühlen.
Ich schreibe das, weil ich möchte, dass du nachdenkst, bevor du das nächste Mal einen blöden Spruch bringst. Weil ich hoffe, dass du erkennst, dass deine Worte Konsequenzen haben.
Ich schreibe das, weil mir schreiben schon immer gut getan hat. Weil ich meine Gefühle damit gut ausdrücken kann und ich sie so oft besser erklären kann.
Und ich schreibe das, weil ich mir eine Welt wünsche, in der wir psychische Gesundheit endlich ernst nehmen.
Ein Aufruf zum Umdenken
Wenn du bis hierher gelesen hast, danke ich dir. Vielleicht fühlst du dich gerade unangenehm berührt. Vielleicht denkst du: „Das war ein harter Text.“ Gut. Denn das war meine Absicht. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören, uns vor diesen Themen zu drücken. Es ist an der Zeit, hinzusehen.
Denn am Ende geht es um mehr als nur Angst. Es geht um Menschen. Es geht um Würde. Und es geht darum, einander ernst zu nehmen.
Sei jemand, der zuhört. Sei jemand, der hilft. Sei jemand, der versteht.
Alles Liebe,
deine Saskia
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